KI in der Wärmebehandlung
Wo Algorithmen die Härte besser treffen
Künstliche Intelligenz ist längst nicht mehr nur ein Buzzword aus der IT-Welt. Auch in klassischen Industriebereichen wie der Wärmebehandlung beginnt sie, Prozesse zu verändern – leise, präzise und mit viel Potenzial. Doch was kann KI in der Härterei wirklich leisten? Und wo steht die Technik 2025?
Vom Bauchgefühl zur Prozessintelligenz
Bisher beruht ein Großteil der Wärmebehandlungsqualität auf Erfahrung: Anlagenführer:innen und Ingenieur:innen kennen ihre Prozesse im Detail, reagieren auf kleine Schwankungen – etwa bei Chargengewicht, Ofentemperatur oder Atmosphärenregelung – oft intuitiv.
Doch genau hier setzt Künstliche Intelligenz an: Sie analysiert tausende Datenpunkte gleichzeitig, erkennt nichtlineare Zusammenhänge, die Menschen oft entgehen, und kann Entscheidungen vorausschauend optimieren. Die Folge: gleichmäßigere Härteverläufe, weniger Ausschuss, niedrigerer Energieverbrauch.
Was KI heute in der Härterei schon kann
Prozessregelung in Echtzeit – statt fester Sollwerte
Früher: Temperatur, Haltezeit und Atmosphärenparameter wurden meist nach festgelegten Rezepten gefahren. Leichte Abweichungen im Werkstück oder bei der Chargenzusammensetzung blieben oft unbemerkt – oder wurden zu spät korrigiert.
Heute: KI-gestützte Systeme werten laufend Messdaten aus (z. B. aus Thermoelementen, Durchflussreglern, O2-Sensoren etc.) und passen den Prozess dynamisch an – sogar innerhalb einer Charge.
Vorteil: Mehr Prozessstabilität, weniger Nacharbeit, höhere Wiederholgenauigkeit.
Predictive Quality – statt Reaktion nach dem Härtefehler Früher: Härteabweichungen, Verzug oder Gefügestörungen fielen oft erst nach der Wärmebehandlung auf – bei der Prüfung oder im schlimmsten Fall beim Kunden.
Heute: KI erkennt auf Basis vergangener Chargen, Werkstoffdaten und Prozessverläufen kritische Muster, bevor der Fehler passiert – z. B. bei zu schnellem Abschrecken, Überhitzung oder ungleichmäßiger Erwärmung.
Vorteil: Weniger Ausschuss, höheres Vertrauen in Serienprozesse, weniger Prüfaufwand.
Lernende Anlagensteuerung – statt trial & error
Früher: Neue Bauteile, komplexe Geometrien oder neue Werkstoffe wurden oft durch Versuch und Irrtum eingelernt. Jede Änderung bedeutete Stillstand, Risiko und manuelles Nachjustieren.
Heute: KI-Modelle „lernen mit“ – jede Charge wird als Datensatz ausgewertet. Das System erkennt wiederkehrende Probleme (z. B. typische Verzugsstellen oder Überhitzungszonen) und schlägt bei neuen Aufträgen angepasste Einstellungen vor.
Vorteil: Schnellere Einarbeitung neuer Produkte, weniger Stillstand, systematische Prozessoptimierung.
Rezeptoptimierung & Simulation – statt Bauchgefühl
Früher: Prozessparameter wurden auf Basis von Tabellen, Werkstoffdatenblättern oder Erfahrungswerten festgelegt. Doch viele Zusammenhänge blieben unklar – z. B. wie sich kleine Änderungen im Werkstoff auf das Härtebild auswirken.
Heute: KI kann anhand von Materialkennwerten, CAD-Geometrie und Prozessdaten Prozesse virtuell durchspielen. Sie schlägt optimierte Rezepte vor – oft mit besserer Energieeffizienz, kürzeren Zeiten oder angepasster Ofenbelegung.
Vorteil: Weniger Energieverbrauch, optimierte Anlagenauslastung, besseres Härteergebnis.
In der „Vor-KI-Zeit“ war die Härterei ein Ort der kontrollierten Komplexität. Heute wird sie zunehmend ein Ort der datenbasierten Intelligenz – ohne die Erfahrung der Menschen zu ersetzen, sondern sie gezielt zu unterstützen.
Grenzen & Herausforderungen
Noch ist KI kein Ersatz für Werkstoff-Know-how – sie ist ein Werkzeug. Und wie jedes Werkzeug braucht sie gute Daten, klare Ziele und qualifizierte Menschen, die sie richtig interpretieren. Herausforderungen sind u. a.:
- Datenerfassung: Nicht alle Altanlagen liefern genug Prozessdaten.
- Interpretation: "Warum" die KI etwas empfiehlt, ist nicht immer erklärbar.
- Vertrauen: Der Schritt, Kontrolle abzugeben, fällt vielen schwer.
Evolution statt Revolution
In der Härterei bedeutet KI keinen radikalen Umbruch, sondern eine schrittweise Weiterentwicklung. Wer frühzeitig beginnt, seine Prozesse zu digitalisieren und Daten klug zu nutzen, hat in Zukunft klare Vorteile – nicht nur in der Qualität, sondern auch im Wettbewerb.
Wir bei der Härtetechnik Hagen beobachten diese Entwicklung genau – und prüfen, wie wir intelligente Prozessunterstützung in unseren Alltag integrieren können. Denn: Die härtesten Ergebnisse entstehen dort, wo Erfahrung auf Innovation trifft.
Quellen:
https://heat-processing.com, HTM Journal, Ipsen Germany: „Smart Heat 4.0 – KI in der Ofentechnik“ (Whitepaper, 2024)