Härterei Lexikon

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Umwandlungsplastizität

Die Umwandlungsplastizität (auch Transformation Plasticity oder TRIP-Effekt) beschreibt die irreversible plastische Verformung eines metallischen Werkstoffs infolge einer martensitischen oder bainitischen Phasenumwandlung unter mechanischer Belastung, obwohl die einwirkenden Spannungen allein unterhalb der konventionellen Fließgrenze liegen. Dieser Effekt wurde erstmals systematisch durch Greenwood und Johnson (1965) beschrieben, wonach inhomogene Eigenvolumenänderungen bei der Umwandlung – insbesondere bei diffusionslosen Phasentransformationen – in Kombination mit äußeren Spannungen zu einer makroskopisch messbaren Verformung führen können.

In der industriellen Wärmebehandlung ist der Umwandlungsplastizitätseffekt sowohl Herausforderung als auch technologische Chance. Einerseits trägt er erheblich zur Verzugsproblematik bei, insbesondere bei asymmetrischen Werkstücken unter Eigengewicht oder Vorrichtungsspannung während des Härtens. Andererseits lässt sich der Effekt gezielt nutzen, etwa beim Presshärten von TRIP-Stählen oder bei der Formgebung im sogenannten „thermomechanischen Umformprozess“. Hierbei erfolgt die Umformung synchron zur Phasenumwandlung, um Bauteileigenschaften wie Festigkeit, Duktilität und Maßhaltigkeit simultan zu optimieren.

Experimentell lässt sich Umwandlungsplastizität durch dilatometrische Untersuchungen unter mechanischer Last quantifizieren, etwa mit speziellen Dilatometern, die eine axiale Krafteinleitung bei simultaner Temperaturführung erlauben. Moderne in-situ-Methoden, z. B. kombinierte DIC-Analyse (digitale Bildkorrelation) mit Hochtemperatur-EBSD (Elektronenrückstreubeugung), ermöglichen dabei eine ortsaufgelöste Korrelation von Gefügeentwicklung und plastischer Verformung während des Umwandlungsprozesses. Numerisch wird Umwandlungsplastizität in modernen FE-Modellen über viskoplastische Materialgesetze oder durch gekoppeltes thermisch-metallurgisch-mechanisches Rechnen abgebildet – ein Forschungsfeld, das in der additiven Fertigung, im Werkzeugbau und in der Präzisionswärmebehandlung stetig an Bedeutung gewinnt.

Ein klassischer Anwendungsfall für Umwandlungsplastizität findet sich im automobilen Leichtbau, insbesondere beim Presshärten hochfester Stähle (z. B. 22MnB5). Während des Umformprozesses werden Blechplatinen auf über 900 °C austenitisiert und anschließend in gekühlten Werkzeugen unter hohem Druck umgeformt. Durch die Kombination aus Phasenumwandlung (Austenit → Martensit) und äußerer Krafteinwirkung tritt Umwandlungsplastizität auf, die das Verformungsverhalten maßgeblich beeinflusst. Dieser Effekt ermöglicht es, komplexe Geometrien bei gleichzeitig hohen Festigkeiten zu realisieren – etwa für Crash-relevante Karosseriestrukturen wie A- und B-Säulen.

In der wissenschaftlichen Praxis wurde der Zusammenhang zwischen Umwandlungsplastizität und Prozessparametern u. a. in Studien der RWTH Aachen, der TU Graz sowie von Forschungsverbünden wie Transregio 188 („Damage Controlled Forming“) detailliert untersucht. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen zunehmend in prädiktive Simulationsmodelle ein, um Bauteilverzug, Eigenspannungen und Maßhaltigkeit in pressgehärteten oder randschichtbehandelten Komponenten bereits im Vorfeld präzise zu steuern.

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